Das Hallesche Streichquartett-Ensemble „Momento musicale“ musste Zugabe spielen – den letzten Satz von Karl Dietrichs heiter-tänzerischem „Concertino giocoso“ von 1962 noch einmal. Zusammen mit dem dritten Streichquartett von Johannes Weyrauch, Gerhard Wohlgemuths Streichquartett Nr. 2 („Dölauer“) und Hans Stiebers spätem Streichquartett (1. Satz) standen am vergangenen Freitag Kostbarkeiten mitteldeutscher Kompositionskunst aus den 1960er Jahren auf dem Konzertprogramm im Weimarer Coudray-Saal.

Der Seltenheitswert solcher Aufführungen, für die bislang so gut wie keine Tonträger existieren, wirkte als Publikumsmagnet wohl ebenso wie die Tatsache, dass Werke aus der Königsklasse der Kammermusik immer Anlass zu Entdeckungen bieten. Vor allem dann, wenn mit dem ausgewählten Zeitabschnitt ein künstlerisch, politisch wie zeithistorisch höchst spannungsreiches Spektrum zwischen Avantgardismus und Traditionstreue aufgerufen wird. In Ost wie West hatte Anfang der sechziger Jahre die Zwölftontechnik Einzug in die Kompositionskunst gehalten, aber hier wie dort wurde diesem Neuerertum anders begegnet. Der Musikhistoriker F. K. Prieberg hatte die systembedingten Differenzen seinerzeit mit der Feststellung von „zwei deutschen Musikkulturen“ auf den Punkt gebracht. 

Politisch zu hören war das Ringen um eine neue zeitgemäße Formen- und Klangsprache bei den genannten Mitteldeutschen freilich nicht. Stattdessen: Ästhetisch eindrucksvoll und vom Quartett durchgängig mit Verve dargeboten ließen sich vier sehr unterschiedliche kompositorische Handschriften in diesem anspruchsvollen Konzertabend vernehmen. Der Komponist und langjährige Leiter des Halleschen „Ensemble Konfrontation“ Alfred Thomas Müller gab einführend fachkundiges Hintergrundwissen zu den jeweiligen Kompositionen preis, vom Publikum dankbar aufgenommene kurze Klangbeispiele erlaubten Einblicke in die künstlerische Machart. „Erstaunlich und beeindruckend, dass solche Werke so zeitgemäß wirken, und trotzdem kaum gespielt werden“, fasste eine Besucherin ihr Hörerlebnis zusammen.

Mit knapp 80 Zuhörern war der historische Coudray-Saal sehr gut besucht, von dessen fabelhaftem Klang wie der Publikums-Resonanz zeigte sich das künstlerische Ensemble mit Dorothée Stromberg als erster Konzertmeisterin der Staatskapelle Halle sehr angetan. Der ausrichtende Musikkulturverein Mitteldeutschland war für das Konzert in Halle von der Stadt Halle finanziert worden, Spenden erlaubten die Zweitaufführung in Weimar, wo der Verein bereits mehrfach gastierte und ein Teil des Vorstands aus der Familie des Komponisten Karl Dietrich sich mittlerweile rege in die vielfältige Vereinsarbeit rund um die weit über 100 mitteldeutschen Komponistinnen und Komponisten einbringt. 

Für den Vereinsvorsitzenden Ernst Stöckmann markierte der Abend eine erfreuliche Wegmarke in dem durchaus aufwändigen Prozess der Wiederentdeckung zeitgenössischer Musikkultur aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Diese Musik ist von fragloser künstlerischer Substanz, sie ist modern und wirkt zeitlos. Was wir hören durften in Halle und Weimar, steht beispielhaft für einen breiten historischen Strang ostdeutscher Musikgeschichte nach 1945 und es gibt im Sinn der gesamtdeutschen Erbepflege jeden Grund, diese Terra incognita wieder hörbar und erlebbar zu machen. Vielleicht kann man von einem neuen Reiz des Unerhörten sprechen, ähnlich dem, den gerade die Komponistinnen hervorrufen. Er müsste sich nun mit Nachhaltigkeit verbinden. Fest steht: Nur dann, wenn wir, anstatt über diese Musik zu reden, sie wieder erklingen lassen, können wir das unvoreingenommene Hören ermöglichen, das neue Wahrnehmungen und Beurteilungen zulässt. Den Anfang haben wir gemacht, nun heißt es da capo auf diesem Wege.“

Für 2026 hat der Musikkulturverein ein Jubiläumskonzert in Erinnerung an die Komponistin Ruth Zechlin (1926-2007) schon fest im Kalender – mit Aufführungen in Dresden und Halle. Und das mitteldeutsche Städtedreieck wird ein weiteres Mal mit Weimar komplettiert, wenn anlässlich der Herausstellung des Akkordeons als Instrument des Jahres 2026 ein Begegnungsfest für Professionelle und Laien ins Leben gerufen wird.   

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