Kunst und Gesellschaft
„Ich zweifle nicht, daß ein jeder von uns mehr oder weniger durchdrungen ist vom revolutionären Geist unseres Zeitalters. Bedenken wir auch, daß es keinen Arbeitsprozeß geben kann, der nicht unter Widersprüchen geboren wird. Und Lob dem Widerspruch!“
Paul Dessau, 1964
„Somit mag ein jeder nach seinen Kräften die Welt vermenschlichen helfen; es wird eine schöne Phase des Lernens sein mit dem Ziel, befriedigende Lösungen zu erreichen. Der Kunst mit der Wahrheit und der Wahrheit mit der Kunst dienen! Gibt es Besseres?“
Paul Kurzbach, 1961
„Da ich in einer bestimmten Gesellschaft lebe und arbeite, reflektiere ich selbstverständlich die Probleme dieser Gesellschaft, sie spiegeln sich automatisch in meinen Arbeiten wider. Daher bin ich überzeugt, daß ich den anderen Menschen erreichen, mit ihm in Kontakt kommen werde […]. Gesellschaftliche Spiegelungen, so wie ich sie verstehe, bleiben niemals im Detail stecken; es sind allgemeine Phänomene einer Zeit, die über alle Grenzen hinweg wichtig sind, die nur nur von DDR-Bürgern verstanden, sondern von der Menschheit unserer Zeit allgemein aufgenommen werden können.“
Paul-Heinz Dittrich, 1979
„Der Komponist hat es heute leicht. Die Aufgaben für ihn liegen auf der Straße. Und es hat wohl noch nie eine Zeit gegeben, die eine solche Fülle von Problemen für den Künstler bereithält und ihn förmlich mit Aufgaben überschüttet, noch nie eine Zeit, die so interessant und spannungsgeladen ist, wie die heutige. Der Komponist muß diese Fragen, Probleme und Aufgaben nur sehen, erkennen und aufheben.“
Johannes Paul Thilman, 1950
„Für mich ist dieses Prinzip, eine neue Position zu erringen, ein Grundsatz meines Lebens wie meines Schaffens. Doch hat das nicht nur subjektive, sondern auch objektive Bedeutung. In unserer Gesellschaft stehen wir doch ständig vor Problemen, haben es mit Auseinandersetzungen zu tun, die uns zu neuen Positionen führen, durch die wir uns weiterentwickeln. Diese Haltung, die man global mit ‚revolutionärer Unruhe‘ bezeichnen könnte, ist ein wichtiger Gegenstand meiner schöpferischen Arbeit.“
Gerd Domhardt, 1971
Avantgardismus vs. Volksverbundenheit?
„Ich bin der Überzeugung, daß es einem Werktätigen völlig gleichgültig ist, mit welchen Mitteln ein Komponist zu ihm spricht, wenn er nur versteht, ihn anzusprechen. […] Zum Verständnis eines aus der Vergangenheit stammenden Werkes gehört eben nicht nur die nötige Musikalität, sondern auch ein Mindestmaß von historischem Einfühlungsvermögen, das bei zeitgenössischer Musik überflüssig ist, wenn Musik und Hörer wirklich Gegenwartsprodukt und Gegenwartsmensch sind. […] Die Teilnahme der Hörer, die sich an konkrete Gegenwartselemente in der zeitgenössischen Musik halten, zu erwecken, ist unbedingt nötig; denn da der gegenwartsbewußte lebende Komponist in gleichem Sinne empfinden muß, sind diese Elemente die entscheidende Verbindung zwischen dem Hörenden und dem Schaffenden. Und es ist unbedingt darauf zu achten, daß sich die Hörer und die Komponisten hier in voller Freiheit verständigen können, denn diese Verständigung bedeutet die Entwicklung eines echten Fortschritts. Darum nehme ich auch dagegen Stellung, daß man irgendwelche sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Musik aus Vorurteilen heraus ablehnt.“
Max Butting, 1961
„Ich meine nur, man muß eine gesunde Synthese zur Vergangenheit finden, weil es keinen Zweck hat, eine Musik zu schreiben, die von vornherein dazu verurteilt ist, vom Hörer abgelehnt zu werden; ich stehe ja doch auf dem Standpunkt, daß Musikschreiben eine Tätigkeit ist, die sich nicht an einen isolierten und kleinen Kreis von Kennern wenden sollte, sondern eben ein möglichst breites Publikum suchen sollte.“
Fritz Geißler, 1979
„Und wenn es heißt: Das können wir nicht bringen, weil es der einfache Mensch nicht versteht, – dann sage ich, daß die einfachen Menschen dann eben wegbleiben sollen. Ich gehe ja auch nicht auf den Fußballplatz. […] Der einfache Mensch soll zu Beethoven hinaufsteigen und nicht umgekehrt.“
Heinz Röttger, Juni 1955
Die Kunst in ihrer Zeit
„Unsere Zeit ist nicht romantisch. Sie ist nicht gefühlsselig, sie ist nicht überschwänglich, sie ist nicht lyrisch, sie ist nicht weich. Sie ist von allem gerade das Gegenteil. Unsere Zeit ist eigentlich nur zu bewältigen, wenn man ihr mit einem klaren Kopf nähertritt, wenn man sich mit gutgeschultem Verstand in sie hineinwagt, wenn man seinen Geist anwendet und der Vernunft endlich die Rolle zuweist, die ihr schon lange zustehen müßte.“
Johannes Paul Thilman, 1950
„Bei einiger Betrachtung muß gesagt werden, daß die Spannungsmomente, wie ich die Dissonanzen einmal nennen möchte, nichts anderes sind als Widersprüche, ohne die es ja in der Musik, in keiner Kunst, also im Leben überhaupt nun einmal nicht geht!„
Paul Dessau, 1957
Sozialistischer Realismus
„Ich glaube, daß allein das Unwahrhaftige verwerflich ist! Das Nicht-Gekonnte aber bedarf der Verbesserung. […] Ich will damit sagen: daß der Sozialistische Realismus ein großer Magen ist – und ein gesunder“ Er kann alle Arten assimilieren. Oder er scheidet das Unbekömmliche auf natürliche Weise als das Nicht-Lebensfähige aus. […] Solange man im Sozialistischen Realismus nur eine attraktive Reklame sieht, ist er nichts als Propaganda. Will man ihn aber als den allgemeinen Ausdruck einer Epoche verstehen, gilt es, jene Werte, die seit Jahrtausenden Gültigkeit besitzen, und die zu allen Zeiten auf ihre Weise künstlerisch gestaltet wurden, auch heute auf die unsere zu formulieren.“
Rudolf Wagner-Régeny, 1963
Ethische und politische Implikationen der Musik
„Musik als moralische Anstalt? – Ja! Das mag für die abstrakten Neuerer untragbar sein, aber, sie werden sich gewöhnen müssen, es zu tragen; denn die Musik ist ja nur ein Teil der sich ungeheuer rasch verändernden Welt. Mit dem Verändern muß die Musik vieles ablegen, viele schlechte Gewohnheiten, üble Konventionen und liebgewordene Klänge.“
Hanns Eisler, 1961
„Nochmals: musikalische Tätigkeit ist Tätigkeit in einem sehr begrenzten lokalen Feld. Sie tritt mit der Tätigkeit in anderen Feldern auf vielfältige, freilich nicht den fixierten Regeln eines starren Systems folgende, Weise in Berührung […]. Darum ist es so wichtig, jenes ‚Draußen‘ in die Reflexion und, soweit möglich, gar in die Produktion einzubeziehen. Und so hat musikalische Tätigkeit neben anderen immer auch politische Implikationen. Sie hat solche Implikationen völlig unabhängig davon, ob sie sich nun ausdrücklich für oder gegen bestimmte politische Auffassung engagiert oder nicht. Deswegen halte ich obige Alternativen [‚l’art pour l’art, ‚absolute Musik‘] für sinnlos, historisch überholt.“
Friedrich Goldmann, 1979
„Die Musik hat unerhörte bewußtseinsbildende Kraft, im Negativen (das haben wir in unseren Lebzeiten oft erfahren), vor allem aber im Positiven. Darum sollten wir Komponisten über unsere Musik, über jede Episode darin, jede Melodie, jeden Kontrapunkt, ja über jede Note und jede Zweiunddreißigstel-Pause sehr genau nachdenken; jede Note wiegt schwer, jedes Werk hat in der Welt von heute eine Wirkung für oder wider – im großen Kampf um die entscheidenden Fragen der Menschheit.“
Max Butting, 1961
„Zu Beginn des sechsten Jahrzehnts erkenne ich: es ist alles noch unbestimmt. Mein Leben ist eine ewige Jagd nach dem ersten und letzten Takt einer Komposition. Alles ist noch unbestimmt, vorhanden aber ist die Bereitschaft, zu lernen, zu arbeiten und dort zu stehen, wo der Gegner nicht hin darf.“
Kurt Schwaen, 1961
Tradition und Innovation
„Es gibt keinen Komponisten auf der Welt, der nicht den Autoren Schönberg, Hindemith, Strawinsky und Bartók zu größtem Dank verpflichtet wäre.“
Rudolf Wagner-Régeny, 1960
Freiheit der Komposition
„Meine musikalische Technik wähle ich nach dem, was ich aussagen will, nach dem ideellen Gehalt des jeweiligen Werkes.“
„Nicht Athene gibt mehr den Aulos, den Nomos, sondern der Komponist gibt sich das Gesetz, der Komponist als Beispiel eines ‚reinen‘ Widerspruchs: gesellschaftliches Wesen und Individuum zugleich.“
Gerhard Wohlgemuth, 1969
„[Wir] müssen […] der Situation Rechnung tragen, daß alle Kompositionstechniken zur Verfügung stehen, es zum Glück keinerlei Verbote und Gebote mehr gibt! Das verlangt von uns doppelte Verantwortung, um wegzuführen von Effektkompositionen oder der Bevorzugung modischer Klischees – vielmehr hinzuführen zu Konzentration, Substrat und Substanz.“
Ruth Zechlin, Oktober 1982
Der Adressat der Kunst
„Ich arbeite nicht für irgendein bestimmtes Publikum, für irgendeine bestimmte Hörerschicht oder für eine bestimmte ‚Klasse‘. Ich fühle mich allen Menschen gegenüber verpflichtet, die in meine Konzerte kommen, um von mir ‚unterhalten‘ zu werden. […] Je mehr der Hörer dabei seinen Intellekt einschaltet und über bestimmte musikalische Zusammenhänge nachdenkt, desto größer wird auch die Freude daran werden. Ich bin so optimistisch zu glauben, daß die Konstruktion meiner Musik von jedem Hörer aufgenommen werden kann, bewußt von dem einen, unbewußt, suggestiv von dem anderen.“
Paul-Heinz Dittrich, 1979
Die Rolle des Hörers
„Ein Werk sollte den Hörer mithören lassen, das Gehörte weiterhören lassen, also quasi ‚unvollendet‘ sein, in erweitertem Sinn, nämlich dem des Weiterwachsens im Zuhörer, des Mitschöpfens im Zuhörer. Keine ‚Fertigware‘ also sei die Kunst, sondern ‚Versuche‘ im Sinne Bertolt Brechts. Ein Kunstwerk sollte nicht gefangennehmen, sondern erobert werden. Der Sieg wäre ein Doppelsieg; der des Zuhörers und des Künstlers zugleich.“
Paul Dessau, 1961
Ästhetischer Ausdruck
„Ich kann nur das schreiben, was ich für richtig halte. Sonst kann ich nur hoffen. Wenn ich pädagogisch arbeitete und so komponierte, daß alle Hörer es auf Anhieb verstünden und begeistert aufnähmen, würde ich mich selbst verleugnen. Das wäre glatter Beschiß (abgesehen davon, daß es gar nicht möglich ist, ‚alle‘ mit ein und derselben Sache zu begeistern), ich fände es unwürdig.“
Georg Katzer, 1979
Die Eigenheit Neuer Musik
„Was aber geschieht, wenn derselbe Hörerkreis [von traditioneller Musik] konfrontiert wird mit Neuer Musik, die offenbar anders zusammengesetzt ist, wo also die Hörerwartungen in keiner Weise befriedigt werden? Man erlebt eine Häufung von Klangereignissen, die erst einmal keine Verbindung untereinander zu besitzen scheinen […] Es gibt kein festes Tonalsystem mehr; durch das Fehlen von Leittönen fallen die gewohnten Klangverbindungen weg. Also muß die Musik im Augenblick gehört und verarbeitet werden. Ein ‚Vorausahnen‘ ist nicht mehr möglich. […] Eine neue Hör-Einstellung wird notwendig […] Es entsteht eine Musik, die die bekannten Grundelemente der Musik ‚in der Schwebe‘ hält.“
Ruth Zechlin, Frühjahr 1979
Das Hören lernen
„Leider treffen wir heute ein weitgestreutes Musikanalphabetentum an – eine Behauptung, die wieder auf die Wichtigkeit der Musikerziehung hinführt. Dabei ist ein unwissender Hörer häufig auch in der Lage, auf seine Weise die Musik zu erfassen, den Intentionen des Komponisten nach-gehen zu können, wenn er nachgehen möchte. Schlimmer finde ich die Halbgebildeten: Sie sind nicht mehr unvoreingenommen genug, um die Musik nur auf sich wirken zu lassen, jedoch auch nicht gebildet genug, um das, worum es geht, zu verstehen.“
Siegfried Thiele, 1979
„Um Musik lieben zu können, muß man lernen, sie zu verstehen. Ich weiß, was sich für eine große und schöne Welt den Kindern dabei auftut. Das gemeinsame Musikerlebnis stärkt ihre Herzen für gute Taten und dringt tief in ihre Gemütswelt ein. Ich wünschte, daß auch wir in unseren Schulen mehr davon Gebrauch machen würden.“
Joachim Werzlau, 1961
Die vorstehende Zusammenstellung originaler Zitate ostdeutscher Komponistinnen und Komponisten beruht auf subjektiver Auswahl ohne vorgefaßte Meinungstendenz. Ggf. widersprechende Positionen dienen der Erhellung des Gesamtbilds; fehlende bzw. nachzurecherchierende Kontexte sollten bei der Interpretation des Gesamtbilds in Betracht gezogen werden getreu dem Motto „Alles, was man sagt, ist nur aus dem Zusammenhang verständlich.“ (R. Wagner-Régeny)
Quellen der Zitate:
Paul Dessau: Notizen zu Noten. Leipzig 1974.
Fritz Geißler: Ziele – Wege. Kommentare, Positionen, Fakten. Verlag Neue Musik Berlin 1987.
Komponisten und Musikwissenschaftler: In eigener Sache. Zehn Jahre Verband Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler. Bekenntnisse und Aussagen von Komponisten der DDR. Berlin 1961.
Mathias Hansen (Hg.): Komponieren zur Zeit. Gespräche mit Komponisten der DDR. Leipzig 1988.
Gilbert Stöck: Neue Musik in den Bezirken Halle und Magdeburg zur Zeit der DDR. Leipzig 2008.
Ursula Stürzbecher: Komponisten in der DDR. 17 Gespräche. Gerstenberg Verlag 1979.
Johannes Paul Thilman: Neue Musik. Polemische Beiträge. Dresden 1950.
Rudolf Wagner-Régeny: An den Ufern der Zeit. Schriften, Briefe, Tagebücher. Leipzig 1989.
Ruth Zechlin: Situationen – Reflexionen. Gespräche, Erfahrungen, Gedanken. Verlag Neue Musik Berlin 1986.