Nahezu vergessen – jetzt erlebbar: Ottmar Gersters Oper „Enoch Arden“

Enoch ArdenKaum zu glauben, aber wahr: Gersters Oper „Enoch Arden oder der Möwenschrei“, 1936 uraufgeführt, bald darauf eine der am häufigsten aufgeführten zeitgenössischen Opern und heute nahezu vergessen, wird am Wiener Opernhaus Theater an der Wien ab 17. Mai aufgeführt (Vorstellungen bis zum 11. Juni).

Etwa zweieinhalb Stunden dauert die vieraktige Oper Gersters, basierend auf der gleichnamigen dramatischen Ballade des englischen Dichters Alfred Tennyson, die 1864 veröffentlicht wurde und unter anderem Richard Strauss zu einem Melodram anregte.
Die Handlung: Nach einem Unfall verlässt der ehemalige Fischer Enoch Arden seine Frau Annie und die drei gemeinsamen Kinder, um in der Handelssschifffahrt seine Familie zu ernähren. Dabei erleidet er Schiffbruch und strandet mit zwei Gefährten auf einer verlassenen Insel. Die beiden anderen sterben. Erst nach zehn Jahren kehrt Arden zurück. Seine Frau, die ihn für tot hielt, hat inzwischen ein Kind von seinem alten Freund Philip, den sie auch geheiratet hat. Enoch beschließt, sich weder seiner Frau noch seinen Kindern zu offenbaren und stirbt an gebrochenem Herzen.

Ottmar Gersters Enoch Arden wurde von mehr als fünfzig Bühnen nachgespielt – nicht nur im deutschsprachigem Raum (etwa 1940 in Linz und 1942 in Graz), sondern auch in Finnland, Rumänien und Italien. Nach 1945 erlebte die Heimkehrer-Tragödie insbesondere in der DDR, wo auch eine Gesamteinspielung auf LP veröffentlicht wurde, erneut eine Renaissance, weil der Stoff die Menschen persönlich berührte, ehe sie in den 1960er Jahren auch dort in Vergessenheit geriet.
Enoch Arden zählt die Kritik zu dem „wohl letzten Beispiel veristischer Opernkultur, das stilistisch zwischen d’Alberts Tiefland und Hindemiths Mathis der Maler einzuordnen wäre.“ Tänze und Lieder von einprägsamer Melodik stehen neben Fugen und herber Polyphonie. Auch musikalisch nicht vorgebildete Menschen mit seiner Musik zu erreichen, war Zeit seines Lebens die oberste Maxime Gersters. Wie sein Freund und Kollege Paul Hindemith in den 1920er Jahren unter anderem als Leiter von Arbeiterchören musikalisch  sozialisiert, konnte sich Ottmar Gerster später auch mit den ästhetischen und  politischen Linien, die die nationalsozialistische Kulturpolitik leiteten, identifizieren.
Vergleichbar war das in der DDR der Fall, in die der Komponist 1947 übersiedelte. Zusammen mit den Opernwerken Rudolf Wagner-Régenys galt Gersters Enoch Arden zusammen mit seiner Die Hexe von Passau als eines der vorbildlichen Referenzwerke der jungen Opernkomponisten der DDR. Gerster, Professor an der Leipziger Musikhochschule langjähriger Vorsitzender des Verbandes  Deutscher Komponisten, erhielt in dem Land seiner Wahl zahlreiche Auszeichnungen für sein Lebenswerk. Es unter den oberflächlichen Urteilen insbesondere der jüngeren Vergangenheit wieder zu entdecken, dürfte ausgesprochen lohnenswert sein. Dass das Wiener Opernhaus jetzt diese Möglichkeit bietet, darf man einen Glücksfall nennen.

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