Spätromantisch-modern: Bewegender Konzertabend im Puschkinhaus mit Schuberts „Winterreise“ für Akkordeon (Susanne Stock)

Zu ihrem zweiten Solokonzertabend in Halle mit dem Titel „mein mit Schnee gefüllter Mund“ hatte die Akkordeonistin Susanne Stock (Leipzig) ihre Adaption von Schuberts spätem Liederzyklus Die Winterreise op. 89 mitgebracht. Die gut dreißig Gäste im passenden Ambiente des Spiegelsaals im Puschkinhaus waren der Einladung des ausrichtenden Musikkulturverein Mitteldeutschland gefolgt und durften eine kongeniale Interpretation des romantischen Liedklassikers in der Fassung für das Melodiebass-Akkordeon erleben – bewegend, überraschend, innovativ.

Schuberts Textur war in Stocks Zugang nicht willkürlich modernistisch überformt, ihre zeitgemäße Tonsprache namentlich in der linken Hand blieb dem Original verpflichtet. So konnte ihr höchst kunstvolles Spiel auf dem Einzelbassmanual der Komposition immer wieder neuartige Fügungen entlocken. Kantilenenartige Stimmen wurden aufgebrochen, Vertrautes begegnete Ungehörtem.
Auch Komponist Thomas Müller hatte das Stück so noch nicht gehört und zeigte sich beeindruckt von der Präzision, mit der durch die Einzeltongestaltung im Bass melodiöse Konturen herausgearbeitet wurden. „Und nun wissen wir auch, weshalb die ‚Winterreise‘ nicht zwingend den tragenden Gesang benötigt in Susanne Stocks Spiel“, hielt Vereinsvorsitzender Ernst Stöckmann nach dem Konzert fest: „Sie bringt das Instrument zum Singen.“

Stock selbst hatte ihre Adaption so angekündigt: „Ein weltbekanntes, tausendfach gehörtes Stück Musik neu hören. Kein Gesang, nur ein einzelnes Akkordeon. Nicht die bekannten Worte Wilhelm Müllers, sondern neue moderne Interpretationen. Nicht gesungen, sondern rezitiert.“
Die Rezitation der dem Opus neu unterlegten Texte von Ruvi Simmons hatte die Künstlerin zwischen den Spielpassagen selbst übernommen; ein zusätzlicher Aufwand, den sie mit Ruhe und Rhythmusgefühl für Pausen und Übergänge gekonnt meisterte. Die poetischen Miniaturen selbst fügten sich – der tragischen Wucht der musikalischen Aussage angemessen – mehr konturscharf denn lyrisch ausmalend in die sanfte, doch bestimmte Aufbruchsbewegung des Gesamtkunstwerks hin zu einem durchaus neuen Gebilde: sich darbietend für ein anderes Hörverstehen und Wiederannähern an dieses großartige Opus. Behutsam modernisierte Formensprache und klassischer Gehalt fanden gelungen zueinander. Mehr lässt sich für einen Konzertabend dieses Zuschnitts kaum verlangen und ja: Schubert hätte an dieser Transformation und Weiterführung wohl seine Freude gehabt.

Einen Sprecher hat die „Winterreise“ der Akkordeonistin aktuell zwar noch nicht, doch dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, dass auch von diesem Aspekt her dem weiteren Bühnen- und (hoffentlich) Hörerfolg des innovativen Werkes auf Tonträgern die Wege geebnet sind.
Der Musikkulturverein wird jedenfalls Angebote unterstützen zu weiteren Aufführungen im mitteldeutschen Raum; entsprechende Interessenten sind gebeten, sich beim Vorstand zu melden.



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